„Kultur soll schrittweise wieder anlaufen“, verkündeten kürzlich Kultur-Staatssekretärin Ulrike Lunacek und Vizekanzler Werner Kogler. In seiner Funktion als Sportminister hätte ich mir von Kogler eigentlich erwartet, dass er uns zeigt, wie das „schrittweise Laufen“ in der Praxis funktioniert. Handelt es sich dabei um eine neue olympische Disziplin (ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück) oder bloß um die typisch österreichische Umschreibung eines Zustands, von dem man nur weiß, dass er für die Kulturschaffenden langsam aber sicher unerträglich wird?

Skurril mutete auch Lunaceks und Koglers Vorschlag an, bald wieder Theaterproben unter Einhaltung des Mindestabstands und mit Mund-Nasen-Schutz-Pflicht zu ermöglichen. Auch an diesem Beispiel sieht man, dass der Weg vom Vermummungsverbot zum Vermummungszwang oft kürzer ist, als man denkt. 

Österreich rühmt sich ja bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, ein Kulturland zu sein. Jetzt befinden wir uns insofern im Dilemma, als wir zwar ein Land haben, aber keine Kultur. Okay, ein paar KünstlerInnen sind in den virtuellen Raum ausgewandert, wo es auf Dauer aber auch langweilig wird, weil es dort nicht so einfach ist, Geld zu verdienen. Und wie sagte schon Bertolt Brecht: „Kunst kostet Geld und Geld ist teuer.“

Als Marxist wusste Brecht aber auch, dass es Bereiche gibt, in denen Geld gar nicht teuer ist. Nehmen wir als Beispiel die ÖBB und die Westbahn: Die bekommen vom österreichischen Staat ruck zuck 48,3 Millionen Euro nur dafür geschenkt, dass ihre Züge weiterhin zwischen Wien und Salzburg verkehren. Die AUA wiederum hätte gerne 800 Millionen, und wird sie auch bekommen, wobei man da noch ein bisschen tricksen muss, weil es ja blöd ausschaut, wenn Österreich die deutsche Lufthansa finanziert.

Bei den Kulturschaffenden gibt man es naturgemäß billiger. Da jubelt man schon, wenn der Covid-19-Fonds beim Künstler-Sozialversicherungsfonds (KSVF) auf fünf Million Euro aufgestockt wird. Wer jetzt aber glaubt, dass das so super ist, wie Frau Lunacek behauptet, der sollte sich einmal die realen Zahlen ansehen, die der KSVF auf seiner Homepage veröffentlicht hat. Da kann man mit Stand 19. April lesen, dass von 2.559 Anträgen bis dato 821 (das sind 31 %) positiv erledigt wurden, und 598.000 Euro ausbezahlt wurden. Im Klartext heißt das, dass jede/r AntragstellerIn als einmalige Hilfeleistung im Durchschnitt 728 Euro erhalten hat. Eine Zahl, ein Skandal.

Stolz verkündet der KSVF auch, dass bereits 77 KünstlerInnen eine Dankesmail an den Fonds geschickt haben. Genau das ist es, was hierzulande von KünstlerInnen erwartet wird: Dass sie sich schön brav bedanken, wenn sie ein paar Almosen bekommen. Fehlt nur noch, dass die Kulturschaffenden jeden Tag um 18 Uhr ihre Fenster öffnen und ein Loblied auf den KSVF anstimmen sollen.

Der shut down im Kulturbetrieb dauert für viele KünstlerInnen von Mitte März bis Mitte September (wenn alles gut geht), das sind sechs Monate ohne die Möglichkeit, in seinem Beruf Geld zu verdienen. KünstlerInnen brauchen Präsentationsräume, Institutionen und die entsprechende Infrastruktur und KünstlerInnen brauchen Publikum. Wenn das alles für sechs Monate oder länger wegbricht, sieht es für die Kultur in diesem Land finster aus. 

Aufgabe der Politik wäre es, und da ist auch Frau Lunacek in die Pflicht zu nehmen, für eine massive Aufstockung der diversen Hilfsfonds für Kulturschaffende- und vermittler zu sorgen und zu gewährleisten, dass diese Hilfen tatsächlich „unbürokratisch und serviceorientiert“ ausbezahlt werden. Die Regierung hat uns mit ihren Maßnahmen in dieses Dilemma hineinmanövriert, jetzt soll sie gefälligst schauen, wie wir da wieder herauskommen. 

Es ist absolut nicht einzusehen, dass in die Wirtschaft Milliarden gepumpt werden, die Kulturschaffenden aber mit Almosen abgespeist werden. Andererseits: Was soll man von einer Regierung erwarten, deren Kulturverständnis bei „I am from Austria“ endet? Ein Wunder, dass in Tirol die Polizei nicht das Ambros-Lied „Schifoan“ gespielt hat: „Ob’m auf der Hütt’n kauf‘ I ma an Jagatee“. Die Tiroler Seilbahnwirtschaft hätte dieses Unterfangen sicher großzügig unterstützt.

Politisch ist das alles eine Katastrophe, aber besonders schlimm ist, dass die Grünen auch noch stolz darauf sind, bei diesem Trauerspiel mitwirken zu dürfen, wenn auch nur als StatistInnen.

Der Standard, Kommentar der anderen, 21. April 2020