Politisch ist das alles eine Katastrophe

Interview: Bernhard Flieher/Salzburger Nachrichten

Es ist alles sehr unsicher im Moment, alle ändert sich dauernd. Wie gut können Sie mit Ungewissheiten leben?

Palm: Mit Ungewissheiten kann ich sehr gut leben. Sonst wäre ich ja nicht freier Autor und Regisseur geworden, sondern Gemeindesekretär in Timelkam. Ungewissheiten interessieren mich jedenfalls mehr als Gewissheiten. Und dass sich Dinge ändern, finde ich grundsätzlich gut, weil: Veränderung bedeutet Leben, Stillstand bedeutet Tod. 

 

Woran arbeiten Sie im Moment?

Ich schreibe zur Zeit an einem Roman mit dem Titel „Böses Erwachen“, der aber nichts mit dem Corona-Virus zu tun hat. Außerdem arbeite ich an einem Theaterstück, das den Titel „Glücklich ist, wer vergisst“ trägt. Beide Projekte sollen nächstes Jahr abgeschlossen sein, vorausgesetzt, dass es dann überhaupt noch Verlage oder Theater gibt. In meinem letzten Roman „Monster“, in dem ja ein Virus die Menschheit bedroht und sich ein riesiger Asteroid der Erde nähert, habe ich mögliche Szenarien für die Zeit danach übrigens bereits durchgespielt. Und die Prognosen sind nicht besonders gut.

 

Wie sehr fühlen Sie sich denn im Moment gefangen? Wie sieht Ihr Tag aus?

Ich fühle mich überhaupt nicht gefangen, weil ich zu den Privilegierten gehöre. Die Situation ist für mich – im Gegensatz zu vielen anderen Kulturschaffenden – noch nicht existenzbedrohend. Ich muss auch keine Kinder zu Hause unterrichten oder jemanden pflegen. Außerdem habe ich genug Platz. Schlimm ist die Lage für Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, oder die als Familie auf fünfzig Quadratmetern wohnen müssen. 

 

Aber sind von der Corona-Pandemie nicht alle gleich betroffen?

Ich glaube, dass durch das Corona-Virus die Klassenunterschiede weiter zementiert bzw. sogar noch verschärft werden. Die Verlierer sind die Armen, allein erziehende Frauen, generell die Lohnabhängigen und sicher auch viele Kulturschaffende, die keine Lobby haben. Also ist das Corona-Virus sozial nicht neutral. 

Dass es sich beim Corona-Virus um „das Ebola der Reichen handelt“, wie ein italienischer Arzt meinte, bezweifle ich ebenfalls. Ein Blick in die USA, nach Indien oder Afrika zeigt ja, wer unter diesem Virus am meisten zu leiden hat, nämlich die Ärmsten der Armen. Und da rede ich noch gar nicht von den 70 Millionen Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, und die niemanden interessieren. Wenn die Menschheit nicht ausgerottet wird, wird am Ende des Tages jedenfalls der Kapitalismus als großer Sieger aus dieser Krise hervorgehen und die Reichen werden noch reicher werden. 

 

Was sollten wir also lernen in dieser Krise?

Brecht hat einmal geschrieben: „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer.“

Natürlich stelle auch ich mir die Frage, ob der Mensch lernfähig ist, was ich stark bezweifle. Und dass die Krise eine Chance ist, glaube ich auch nicht. Der Mensch vergisst sehr schnell und versucht alles, was ihn bedrohen könnte, zu verdrängen.

Ich frage mich auch, warum alle nur über die Symptome dieser Krise reden, und niemand über deren Ursachen.

 

Wo liegen diese Ursachen Ihrer Meinung nach?

Wenn das Virus tatsächlich seinen Ausgang auf einem Wildtiermarkt in Wuhan genommen hat, dann müssten wir doch endlich auch darüber nachdenken, wie wir in Zukunft mit Tieren umgehen sollen. Schweinepest, Vogelgrippe, Rinderwahn, Ebola, Sars – und jetzt Corona. Was muss noch alles passieren, bis hier ein Umdenken einsetzt? Oder wer spricht über die Arbeitsbedingungen der 50.000 chinesischen Arbeiterinnen und Arbeiter, die in der italienischen Stadt Prato unter oft sklavenähnlichen Zuständen Billigklamotten herstellen, und die wahrscheinlich mitverantwortlich für die rasante Ausbreitung des Virus in Norditalien waren? Aber solange unsere Handys funktionieren, es billiges Fastfood gibt und wir günstig Kleider einkaufen können, ist ja alles in bester Ordnung.

 

Wie beurteilen Sie die Lage politisch? Sind die Maßnahmen gerechtfertigt? 

Politisch ist das alles eine Katastrophe, weil die Corona-Krise den Rechten als Vorwand dient, die Demokratie weiter auszuhöhlen und autoritäre Strukturen zu zementieren. Bestes Beispiel dafür sind Ungarn und Polen, wo vor den Augen der in Schockstarre verfallenen EU-Institutionen Corona-Diktaturen errichtet werden. Wer jetzt die EU immer noch gut findet, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

Und was Österreich betrifft, glaube ich, dass hier ein viel gefährlicheres Virus grassiert, als das Corona-Virus, nämlich das Virus des Fremdenhasses und des Rassismus. 

 

Aber es scheint doch, dass die Maßnahmen Wirkung zeigen.

Was die einzelnen Maßnahmen betrifft, finde ich es ja geradezu grotesk, dass dieselben Politiker, die vor zweieinhalb Jahren noch ein Vermummungsverbot beschlossen haben, heute  den Vermummungszwang verordnen. Ein weiterer Beweis dafür, dass Österreich eine Operettenrepublik ist. Das Corona-Virus kam gerade recht, um einmal zu testen, wie weit der Staat gehen kann, ohne dass es in der Bevölkerung zu Protesten kommt. Besonders absurd an der gegenwärtigen Situation ist ja auch, dass es zur Durchsetzung gewisser Ziele nicht einmal der allseits herbeiphantasierten „Flüchtlingskrise“, samt „Grenzsturms“, bedurfte, sondern bloß eines Virus‘, das aufgrund seiner Beschaffenheit – man sieht es nicht, man riecht es nicht, man hört es nicht – die ideale Projektionsfläche für alle möglichen Angst- und Zerrbilder bietet. Die Forderung bestimmter Gruppen nach Schließung der Grenzen konnte so problemlos in die Praxis umgesetzt werden, auch wenn sich dadurch das Virus nicht abhalten lässt, aber wenigstens bleiben die Flüchtlinge und „die Fremden“ draußen. 

 

Wie wird die Welt aussehen nach dieser Zeit? Was erhoffen Sie sich?

Nachdem ich immer schon der Meinung war, dass der Mensch ein Fehler der Natur ist, würde es mich sehr wundern, wenn die Menschheit aus der Corona-Pandemie positive Schlussfolgerungen ziehen würde. Ich befürchte, dass nach einer kurzen Schockstarre alles so weitergeht wie bisher. Vielleicht wird es sogar noch schlimmer.

„Salzburger Nachrichten“, 11. April 2020

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