Frucade und Eierlikör

Frucade und Eierlikör

Vor zwanzig Jahren, am 12. November 1994, ging im Speisesaal des Globus-Verlags die erste Folge von „Phettbergs Netter Leit Show“ über die Bühne. Erinnerungen an eine Zeit, in der das Fernsehen noch nicht ganz so reaktionär war wie heute.

Es war am 4. Oktober 1994 um 17 Uhr 04, als ich Hermes Phettberg per Telefax das Konzept für ein neues Theaterformat übermittelte. Telefax? Ja, so etwas gab es damals noch, und der legendäre Ingenieur Hugo Kirnbauer erklärte in einer „Netten Leit Show“ sogar einmal, wie diese „revolutionäre Erfindung“ funktionierte: „Jeder Buchstabe ist ein Byte. Und jedes Byte besteht aus acht Bits.“ Verstanden habe ich es nicht, aber ich habe auch nicht verstanden, woran der Lebensmittelkontrolleur Professor Psota erkennen konnte, ob in einem Chinarestaurant die knusprige Ente verdorben war oder nicht. Ich glaube, es hatte irgendetwas mit Geschmacksverstärkern und ominösen „weißen Flankerln“ zu tun. 

Bevor ich aber abschweife, kommen wir wieder zurück zum 4. Oktober 1994. Unserer Theatergruppe „Sparverein Die Unzertrennlichen“ war gerade ein Stück ausgefallen und wir mussten schnellstmöglich eine Ersatzproduktion auf die Füße stellen. Da ich aufgrund unserer langjährigen Zusammenarbeit Phettbergs schauspielerisches Talent kannte, schlug ich ihm vor, an sechs Samstagen eine Live-Talkshow als Bühnenstück zu machen. 

Ich erwähne die langjährige Zusammenarbeit mit Hermes auch deshalb, weil nach dem Erfolg der „Netten Leit Show“ immer wieder so getan wurde, als hätte ich die Kunstfigur Hermes Phettberg erfunden. Das ist Unsinn, weil Hermes bereits von 1991 bis 1994 unter meiner Regie bei fünf Produktionen des „Sparvereins“ als Schauspieler mitgewirkt hat. Dabei brillierte er in Stücken von Flann O‘Brien oder Gustave Flaubert ebenso wie im Western „Bringt mir die Hörner von Wilmingtons Kuh“ oder im Krimi „Bei Anruf – Mord“. 

Dass „Phettbergs Nette Leit Show“ so erfolgreich war, hing sicherlich auch damit zusammen, dass sie von Anfang an als Theaterstück konzipiert war. Natürlich konnte Phettberg improvisieren, allerdings nur innerhalb eines festgelegten dramaturgischen Rahmens. Ohne einen solchen Rahmen hätte diese Produktion nicht funktioniert, wenngleich auch der Zufall – wie immer im Leben – eine große Rolle spielte. Dazu zwei Beispiele:

Während einer Zugfahrt mit Hermes fiel mir auf, dass er ständig eine braune, extrem hässliche Aktenmappe aus Kunstleder unter den Arm geklemmt hatte. Ich sprach ihn darauf an und wir beschlossen, die Mappe in der Show als Requisit zu verwenden. Und zwar als Aufbewahrungsort für den Flaschenöffner, mit dem er die Frucadeflaschen öffnete. Die Krux an der Sache war allerdings, dass sich dieser Öffner in einem zugeklebten Kuvert befand, der während der Show umständlich aus der Tasche herausgeholt werden musste, um dann ebenso umständlich darin wieder verstaut zu werden. Tja, so etwas passiert, wenn man nur einen Flaschenöffner besitzt, den man keinesfalls verlieren darf, weil man ja sonst die Frucadeflaschen nicht öffnen hätte können. Wer jetzt meint, wir hätten ja einen zweiten Flaschenöffner kaufen können, versteht das Wesen des neurotischen Rituals nicht.

Oder nehmen wir die zehn Dosen, auf die am Ende der Show mit einem ausgestopften Socken geschossen wurde. Dafür wurden ausschließlich leere Dosen aus dem reichen Bestand von Hermes Phettberg verwendet, die farblich aufeinander abgestimmt waren. Der – gewaschene – Socken stammte von mir, wobei es einmal beinahe zu einer Katastrophe gekommen wäre: Als Hermann Nitsch am 1. Juli 1995 beim Dosenschießen nämlich den Ball sehr weit danebenwarf, und dieser (der Ball, nicht Hermann Nitsch) durch das offene Fenster im zweiten Stock des Veranstaltungssaales ins Freie hinaus auf die Meldemannstraße fiel, mussten sofort mehrere Personen ausströmen, um den Ball zu suchen. Glücklicherweise wurde er auf einem Kanalgitter liegend gefunden, und die Show konnte ungehindert fortgesetzt werden. Wäre der ausgestopfte Socken in der Wiener Kanalisation verschwunden, hätte das für das Fernsehen ungeahnte Folgen haben können. 

Daran sieht man, dass „Phettbergs Nette Leit Show“ das Produkt eines pedantischen Chaoten (Phettberg) und eines chaotischen Pedanten (Palm) war, wobei die entscheidende Kategorie die Pedanterie war, weil sich das Chaos ohnehin von selbst einstellte. 

Wie es sich für ein ordentliches Theaterstück gehörte, gab es natürlich auch ein Bühnenbild, es gab für Phettberg, den Assistenten Robin und die „Brüder Poulard“ Kostüme, und es gab eine Bühnenmusik, die live von Chrono Popp beigesteuert wurde. Dazu kamen als weitere Fixpunkte das „Video der Woche“ (z. B. „Zu Besuch bei Elfriede Jelinek“ oder „Zu Besuch beim österreichischen Stenografenverband“), die berühmt gewordene Eingangsfrage „Frucade oder Eierlikör?“, das Dosenschießen und nicht zuletzt das Polaroidfoto, das Robin von jedem Gast mit Phettberg machte. Selfies? Fehlanzeige.

Als mich bei unserer ersten Besprechung im „Café Jelinek“ Hermes fragte, wie die Produktion heißen solle, schob ich ihm einen Zettel über den Tisch: „Phettbergs Late Night Show“ stand da drauf. Er übersetzte diesen auf dem Kopf stehenden Titel mit: „Phettbergs Nette Leit Show“. Ping – Pong. So funktionierte das zwischen uns und wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb Hermes später einmal meinte, wir beide wären wie Dick und Doof oder wie Karl Farkas und Ernst Waldbrunn oder wie Kochtopf und Deckel. Das war auf der einen Seite ganz lustig, auf der anderen Seite aber auch ziemlich anstrengend. Vor allem, wenn der Kochtopf ständig am Überkochen war. 

Als Aufführungsort für unser Stück wählten wir den von Margarete Schütte-Lihotzky erbauten Globus-Verlag der KPÖ, weshalb wir als ersten Gast auch gleich Franz Muhri, den ehemaligen Vorsitzenden der KPÖ, einluden. Bei einer der ersten Shows schaute einmal auch die damals 97-jährige Architektin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky vorbei, die vom Publikum entsprechend gefeiert wurde.

Mit 200 Besucherinnen und Besuchern war die erste „Nette Leit Show“ ziemlich gut besucht, vor allem wenn man bedenkt, dass die Veranstaltung erst um 22 Uhr begann und der Globus-Verlag am Höchstädtplatz im 20. Bezirk gar nicht so leicht zu erreichen war. Eine Woche später kamen bereits 400 Leute, in der Woche darauf waren es 600, und bei der letzten Show der ersten Staffel am 17. Dezember 1994 stürmten 1.100 Leute den ehemaligen Speisesaal der KPÖ-Zentrale. Und das ganz ohne Facebook! Gäste waren damals Franz Morak, Valie Export und Josef Hader. Und wie immer gab es Wurstsemmeln (mit Gurkerln), Flaschenbier und T-Shirts mit Phettbergs Konterfei. 

Als der ORF dann trotz zweimaliger Ablehnungen doch noch Interesse an „Phettbergs Netter Leit Show“ zeigte, entschlossen wir uns, zwischen Juni 1995 und April 1996  drei weitere Staffeln zu produzieren. Ausgestrahlt wurden die auf 50 Minuten gekürzten Shows, die live knapp zwei Stunden dauerten, dienstags um 23 Uhr im Rahmen der „Kunststücke“ auf ORF 2 und bescherten dem Sender mit einem durchschnittlichen Marktanteil von 33 % sensationelle Quoten. Im ORF und auf 3sat haben „Phettbergs Nette Leit Show“ insgesamt sechs Millionen Menschen gesehen. 

Aber nicht nur die Zuschauerzahlen waren enorm, auch das Medienecho war gigantisch. In der japanischen Tageszeitung „Mainichi Shimbun“ erschien eine dreiteilige Serie über Phettberg, und die spanische Zeitung „El Pais“ berichtete ebenso über „das Phänomen Phettberg“ wie „Der Spiegel“, „Die Zeit“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, der „Stern“ oder die „Neue Zürcher Zeitung“.

Als Folge des Medienhypes wurden auch drei Bücher über den neuen Fernsehstar aus Gumpendorf herausgebracht. In seinem Buch „Hermes Phettberg. Die Krücke als Zepter“, schrieb der Journalist Klaus Kamolz: „Phettberg ist wie ein Messias über die trostlose österreichische Medienlandschaft gekommen. Da führte einer das Fernsehen vor und entblößte seine Peinlichkeit, indem er es bis zur Kenntlichkeit entstellte: Das Medium war nackt bis auf die Haut, seine Professionalität als lächerliche Pose entlarvt. “  

Die Gründe dafür, dass die „Nette Leit Show“ binnen kürzester Zeit Kultstatus erlangte, waren vielfältig: 

Auf der einen Seite wurde die Show sicherlich als Antithese zur Programmpolitik des ORF, deren Ziel ja die Verblödung des Publikums war, verstanden. Das hatte auch die „Kronen Zeitung“ begriffen, in der nach der Ausstrahlung der ersten Show zu lesen war: „Mit dieser inakzeptablen Sendung taucht der ORF gefährlich in die Niederungen des Unappetitlich-Grindigen ein. Einen witzlosen Fettberg, der sich blöd stellt und kein Hehl aus seinen verschimmelten linken Vorlieben macht, braucht der ORF nicht.“ 

Meine Rache folgte auf dem Fuß, indem ich in der folgenden Show in meinem Brief, den Hermes immer am Ende vorlas, die „Kronen Zeitung“ als „erzreaktionäres Revolverblatt“ bezeichnete. Einige ORF-Redakteure wollten, dass ich diese Passage herausschneide, was ich natürlich nicht tat. Daraufhin verlangte Hans Dichand in einem „Krone“-Leitartikel, dass mich der ORF gefälligst rauswerfen solle. Unser Plan, eine wilde, anarchische, linke Show zu machen, die nichts mit dem ganzen Dreck zu tun hatte, der unter der Bezeichnung „Talkshow“ im Fernsehen lief, war also aufgegangen. 

Auf der anderen Seite lieferte Phettberg als 150 Kilo schwerer Schwuler mit Hang zum Sadomasochismus den schlagenden Beweis dafür, dass es neben den Schönen, Starken und Tüchtigen auch noch andere Menschen in unserer Gesellschaft gab, die etwas zu sagen hatten. 

Etwas poetischer formulierte es der „Spiegel“: „Wenn Phettberg redet, verschwimmt das scheinbar Abstoßende, der unerbittlich verunstaltete Körper und der schiefe Mund im verwüstete Gesicht, in der Aura eines sanften, poetisch verzweifelten Menschen.“ Na ja, der „Spiegel“ war halt immer schon das Zentralorgan der Magertopfenfraktion. 

Harald Schmidt, in dessen Show Hermes auf dem Höhepunkt seiner Popularität natürlich auch einmal zu Gast war, sah das Ganze naturgemäß etwas nüchterner: „Ich finde Phettberg grandios. Für mich ist er ein Gesamtkunstwerk.“

Als weiterer entscheidender Punkt kam hinzu, dass Phettberg seinen Gästen auf Augenhöhe begegnete, und es in den Gesprächen immer auch um Inhalte ging, egal, ob man sich über Kartoffeln, Plastiksackerln oder das Universum unterhielt. Das war auch einer der Gründe, weshalb sich so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Marcel Prawy, Peter Weibel, Gerti Senger, Stefanie Werger, Franz Antel, Manfred Deix oder Johanna Dohnal nur in den höchsten Tönen über Phettbergs Gesprächsführung äußerten.

Phettberg selbst sah die Sache so: „Es ist eben ein Erzfehler der Anstalten, dass sie kein Vertrauen in den Menschen haben. Alles muss zu Tode vorbereitet werden, so wird das Fernsehen abkommen und in Vergessenheit geraten. Denn es langweilt uns junge Leute unendlich.“

Mit dem Medienhype um Phettberg fingen allerdings die Probleme erst so richtig an, weil Hermes das voyeuristische Interesse an seiner Person mit Zuneigung und Wertschätzung verwechselte. Es war ja tatsächlich wie im Märchen, aber wie die meisten Märchen, ging auch dieses nicht gut aus. 

Ich habe Hermes einmal gefragt, ob er nicht sähe, dass die Medien ein doppeltes Spiel mit ihm trieben: „Zuerst katapultieren sie dich in die höchsten Höhen, um dich dann umso tiefer fallenzulassen.“ Hermes‘ Antwort darauf: „Jeder Journalist, der zu mir lieb ist, kann alles von mir haben, unstrategisch.“ Damit war die Sache erledigt, und egal, was die seriösen und weniger seriösen Käseblätter auch schrieben: Hermes fühlte sich wie ein König, und verhielt sich bald auch so. 

Gleichzeitig muss ich Hermes zugute halten, dass er absolut unbestechlich war, wenn es um Werbeangebote ging. Es ist ja immer das Gleiche: Kaum wird jemand zum „Publikumsliebling“, schon reißen sich die Werbeagenturen um ihn – oder sie -, und ehe man sich‘s versieht, grinst man blöd von den Plakatwänden des Landes herunter. Als in der Zeitschrift „News“ ein Foto erschien, das den 150 Kilo schweren Phettberg im Ruderleiberl auf seinem Hometrainer zeigte, hätte die Firma „Sports Experts“ 100.000 Schilling bezahlt, wenn sie mit dem Foto Werbung für ihre Produkte hätte machen dürfen. Hermes lehnte ab, weil er sich nicht verkaufen wollte. So geht es auch.

Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass es zwischen Hermes und mir bald ordentlich krachte. Ich möchte hier auf keine Details eingehen, aber nachdem ich aufgrund unüberbrückbarer Differenzen als Produzent und Regisseur von „Phettbergs Netter Leit Show“ ausgestiegen war, trennten sich unsere Wege. Der damalige ORF-Generalintendant Gerhard Zeiler und sein Programmdirektor Wolfgang Lorenz wollten uns zwar noch umstimmen, aber für mich kam eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr in Frage. Zeiler und Lorenz haben Phettberg und mir fürs Weitermachen übrigens sehr viel Geld geboten, womit auch das Märchen widerlegt wäre, dass der ORF die Show quasi „abgedreht“ hätte. Dem war definitiv nicht so, wobei es Zeiler natürlich ausschließlich um die Quote ging. Als SPÖ-Parteikarrierist, der als Pressesprecher den Bundeskanzlern Sinowatz und Vranitzky gedient hatte, war er als ORF-Generalintendant in erster Linie Pragmatiker. Skurril mutet es dann aber doch wieder an, dass ausgerechnet der als „mutig“ titulierte Vorgänger Zeilers, Gerd Bacher, am Beispiel der „Netten Leit Show“ den „Sittenverfall“ im ORF beklagte.

Als man bei RTL mitbekam, dass das Ende der „Netten Leit Show“ im Raum stand, schickte der Sender einen Unterhändler nach Wien, um Hermes und mir 2,5 Millionen Schilling für zwanzig Shows in Berlin anzubieten. Da das die Hälfte von dem war, was wir – umgerechnet auf eine einzelne Show – vom ORF bekamen, verlangten wir acht Millionen, inklusive des Transports der Originalglühbirnen vom Globussaal nach Berlin. Gescheitert ist der Deal schließlich an den Glühbirnen. Und an den Blechdosen sowie dem ausgestopften Socken, die wir bereits weggeworfen hatten. RTL appellierte zwar noch einmal an uns, vernünftig zu sein und „die Gunst der Stunde“ zu nutzen, wir aber blieben stur. Keine Glühbirnen – keine Show. Kein Wunder, dass wir vom RTL-Chefverhandler am Ende als „unprofessionelle Idioten“ beschimpft wurden, was wir durchaus als Kompliment auffassten. 

Und heute? Heute sind Talkshows zu Durchlaufstationen für Halb- und Viertelpromis verkommen, die diese Sendungsmodule als Werbeplattformen für ihre veganen Hundekochbücher oder Diätratgeber der Marke „Wie werde ich fett, ohne abzunehmen“ benutzen. 

In einem unserer vielen Gespräche hat Hermes einmal gesagt: „Es ist im Leben immer das Gleiche: Du willst was werden und scheiterst und scheiterst und scheiterst.“ Auf meine Frage, ob hinter diesem Scheitern nicht eine Strategie stecke, antwortete er, dass ich nichts verstehen würde. Aber so ist das halt mit Dick und Doof: Am Ende hat einer die Torte im Gesicht und der andere lacht (oder weint).

Oder, wie es der Katastrophenforscher Ingenieur Josef Pointner einmal in einer Show formulierte: „Im allgemeinen ist man sicher. In Ausnahmefällen passiert ein Unfall, und ganz selten eine Katastrophe.“

Kurt Palm lebt als Autor und Regisseur in Wien. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Bringt mir die Nudel von Gioachino Rossini“ im Residenz Verlag. Sein Spielfilm „Kafka, Kiffer und Chaoten“ hatte im Mai 2014 Premiere.

Hinweis: Sämtliche im ORF ausgestrahlten Folgen von „Phettbergs Netter Leit Show“ sind in einer DVD-Box, Laufzeit  20 Stunden, bei Hoanzl erschienen. 

Der Standard, Album, 15. November 2014

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