Ein Pass für einen Totentanz

Schreckensmeldung stand zuerst in den „Salzburger Nachrichten“: „Kulturbolschewistische Atombombe auf Österreich abgeworfen“. Das rechtsgerichtete Kampfblatt „Die Neue Front“ stellte die kryptische Frage: „Wer schmuggelte das Kommunistenpferd in das deutsche Rom?“ In anderen Blättern war noch die Rede vom „Poeten des Teufels“, von einer „literarischen Ausgeburt“ und vom „größten Kulturskandal der Zweiten Republik“.

Den Anlass für diese Pamphlete, die Ende 1951 in österreichischen Zeitungen erschienen, bildete ein Dokument, das bereits am 12. April 1950 von der Salzburger Landesregierung ausgestellt worden war, nämlich die „Urkunde über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Herrn Berthold Brecht, Beruf: Schriftsteller, geboren am 10. Februar 1898 in Augsburg“. Monatelang stand die durch diese Urkunde ausgelöste „Affäre Brecht“ im Mittelpunkt des medialen Interesses und beschäftigte in weiterer Folge nicht nur den Salzburger Landtag, sondern auch den Nationalrat und den Ministerrat.

Im Zuge dieser Auseinandersetzungen verwandelten sich die Federn zahlreicher Journalisten in Schwerter, um den Kampf gegen das Böse schlechthin wirkungsvoller führen zu können. Dieses Böse, das nicht mehr nur wie ein Gespenst in Europa umging, war der Kommunismus, der in der Person des Schriftstellers Bertolt Brecht Österreich unterwandern und reif für den Untergang machen sollte. 

Der Chefredakteur der „Neuen Front“, Viktor Reimann, machte am 13. Oktober 1951 klar, worum es in Wirklichkeit ging: „Die Einbürgerung Bert Brechts zeigt, wie durch den Übereifer einzelner intellektueller Sozialisten und durch die Unwissenheit und Schwäche der kulturellen Machthaber der Volkspartei unser Land kommunistisch unterminiert wird und die Amerikaner die geistige Bolschewisierung Österreichs noch finanzieren.“

Wenn man angesichts solcher Gedankengänge heute ungläubig den Kopf schüttelt, sollte man nicht vergessen, dass zu Beginn der fünfziger Jahre der Kalte Krieg längst in vollem Gange war, was natürlich auch Auswirkungen auf das kulturelle Leben hatte. 

So ging es im Falle Brechts ja nicht nur um die Denunzierung eines Schriftstellers, sondern auch um die Abrechnung mit einer Kunstauffassung, die im stramm antikommunistischen Österreich keinen Platz hatte. Und Brecht gehörte bekanntlich zu denen, die – wie es Thomas Mann bereits 1944 formulierte – im „Antikommunismus die Grundtorheit unserer Epoche“ sahen.

Die Gedankengänge derer, die damals im österreichischen Kulturbetrieb das Sagen hatten, sind heute in vielen Fällen schwer nachvollziehbar. So schrieb der Schriftsteller Friedrich Torberg, einer der größten Brecht-Hasser seiner Zeit, „dass selbst Hänschen klein kommunistische Propaganda wäre, wenn Brecht als Verfasser zeichnete.“

Diese Äußerungen wurde 1961 zu einem Zeitpunkt gemacht, als es in Österreich bereits einen seit acht Jahre fast lückenlos durchgehaltenen Brecht-Boykott gab. Natürlich ging es Torberg nicht alleine um die Diffamierung Brechts, sondern auch um die Diskreditierung all jener Künstlerinnen und Künstler, die im Verdacht standen, zu liberal zu sein oder zu weit links zu stehen. Erwähnt seien hier stellvertretend Torbergs Hetze gegen die „Drecksau“ und „Filzlaus“ Hilde Spiel, und seine Angriffe auf Thomas Mann, Berthold Viertel oder Gottfried von Einem, die er  als „Diktaturcollaborateure“ bezeichnete.

Torbergs Kampagnen endeten nicht selten in dem Versuch, den jeweiligen Gegnern ihre Existenzgrundlage zu entziehen. Als beispielsweise bekannt wurde, dass der Schauspieler Karl Paryla bei den Salzburger Festspielen im Sommer 1952 im „Jedermann“ den Teufel spielen sollte, setzte Torberg alles daran, dieses Engagement zu hintertreiben. Im „Wiener Kurier“ bezeichnete er das KPÖ-Mitglied Paryla als „bedingungslosen Partisanen einer Diktatur, deren brutaler Terror sich nicht nur auf die Gedanken erstreckt, sondern aufs nackte Leben“, und forderte dessen Entlassung. Das Kuratorium der Salzburger Festspiele entsprach Torbergs Wunsch und „stornierte“ Parylas Engagement. 

Als zehn Jahre später Karl Paryla aus der DDR nach Wien zurückkehrte und an das Theater in der Josefstadt engagiert wurde, schrieb Torberg: „Es genügt nicht, daß Karl Paryla hierzulande ungestört leben, kommunistisch wählen und sich kommunistisch betätigen darf – nein, man muß ihn auch noch engagieren.“ 

Und als der Schauspieler Otto Tausig nach seiner Rückkehr aus der DDR mit dem damaligen Direktor des Theaters in der Josefstadt, Franz Stoß, wegen eines Engagements verhandelte, hielt Stoß in der einen Hand den Vertrag und in der anderen eine „Reueerklärung“, die sich auf Tausigs Zeit an dem von der KPÖ und den sowjetischen Behörden unterstützten „Neuen Theater in der Scala“ bezog. Stoß zu Tausig: „Diese Erklärung ist nicht für mich, sondern für den Weigel und den Torberg.“ Neben Friedrich Torberg gehörte Hans Weigel damals ebenfalls zu den Verfechtern einer strikt antikommunistischen Kulturpolitik.

Torbergs Hass auf Bertolt Brecht ging so weit, dass er während seines Exils in Kalifornien in seiner Funktion als Informant für das FBI auch Bertolt Brecht bespitzelte. In einem Bericht vom 30. März 1943 an das FBI ging Torberg zum Beispiel ausführlich auf Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“ ein und berichtete, dass „the subject“ ein kommunistischer Schriftsteller sei, der gemeinsam mit dem Kommunisten Hanns Eisler „Das Solidaritätslied“ geschrieben habe. Zwei Wochen nach Vorlage von Torbergs Bericht erwog das FBI, Brecht zu internieren, verwarf diesen Plan allerdings nach einer neuerlichen Prüfung des Falls wieder.

In seiner Funktion als Informant für das „Office of War Informations“ regte Torberg im Juni 1945 in New York auch an, „the communist political cells“ in Hollywood genauer unter die Lupe zu nehmen. Kurze Zeit später hat das berüchtigte „Committee On Unamerican Activities“ die angeblichen „kommunistischen Zellen“ in Hollywood ja dann tatsächlich unter die Lupe genommen und linke und liberale Künstler vor den „Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeiten“ gezerrt, vor dem am 30. Oktober 1947 auch Bertolt Brecht aussagen musste. Die Ankläger, unter denen sich der spätere US-Präsident Richard Nixon befand, stützten sich in ihrer Argumentation wesentlich auf die von Torberg gesammelten Informationen. Als sogenannter „freundlicher Informant“ im Sinne der Anklage fungierte übrigens der Schauspieler Ronald Reagan.

Nachdem Brecht keine kommunistischen Umtriebe nachgewiesen werden konnten, verließ er umgehend die USA und kehrte nach Europa zurück. Als er am 1. November 1947 auf dem Flughafen von Paris landete, waren er und seine Frau, die Schauspielerin Helene Weigel, immer noch staatenlos, nachdem ihnen die nationalsozialistische Regierung 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt hatte. Nach fünfzehnjährigem Exil in Dänemark, Schweden, Finnland, der Sowjetunion und den USA ließ sich Brecht zunächst in der Schweiz nieder, um von dort aus die Lage zu sondieren. Wegen der ausländerfeindliche Politik der Schweizer Behörden, die sich vor allem gegen die aus dem Exil zurückgekehrten Staatenlosen richtete, war für Brecht aber bald klar, dass er nicht in der Schweiz bleiben konnte.

In dieser schwierigen Situation lernte er im Frühjahr 1948 in Zürich den jungen österreichischen Komponisten Gottfried von Einem kennen, der sich als Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele um deren geistige Neuorientierung bemühte. „Um Brecht an Salzburg zu binden“, so von Einem, „sah einer unserer Pläne vor, dass Berthold Viertel Intendant des Landestheaters werden sollte, Erich Engel Oberspielleiter und Brecht Dramaturg. Brecht war damit sehr einverstanden und machte gleich einige Vorschläge. Beispielsweise wollte er bei den Festspielen nicht nur den Kaukasischen Kreidekreis, sondern auch den Faust inszenieren. Und zwar beide Teile an einem Abend. Den Faust sollte Fritz Kortner und den Mephisto Peter Lorre spielen.“

Aber solche Pläne waren undurchführbar, solange Brecht keine brauchbaren Papiere hatte. Von Einem versprach Brecht, sich in Salzburg und Wien bei einflussreichen Personen dafür einzusetzen, dass er Papiere zum Reisen bekäme, von einem Pass war damals noch nicht die Rede. Als Brecht im Oktober 1948 zum ersten Mal nach Salzburg kam, führte er sogleich Gespräche über mögliche Aufführungen seiner Stücke in Salzburg und Wien. 

Während eines Aufenthalts in Zürich im Frühjahr 1949, wo ihm die Schweizer Behörden neuerlich Probleme machten, hatte Brecht erstmals die Idee, sich um einen österreichischen Pass zu bemühen. Er bot Gottfried von Einem an, für Salzburg ein Festspiel zu schreiben, wenn er dafür einen Pass bekäme. Brecht: „Ich weiß jetzt auch ein Äquivalent, mehr für mich wert als Vorschuss irgendwelcher Art; das wäre ein Asyl, also ein Paß.“ 

Gottfried von Einem war mit dem Handel sofort einverstanden und ebnete Brecht bei den zuständigen Behörden in Salzburg und Wien den Weg. In der Zwischenzeit hatte Brecht mit seiner Arbeit am „Salzburger Totentanz“ begonnen, der im Hof des Stifts St. Peter aufgeführt werden sollte.

Was freilich etwas verwundert, ist die Tatsache, dass Brecht offenbar nicht realisiert hatte, dass sich die Salzburger Festspiele in der Zwischenzeit künstlerisch längst in eine andere Richtung entwickelt hatten. Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm, Clemens Krauss oder Hans Knappertsbusch, die während der Nazizeit in Salzburg eine führende Rolle spielten, waren längst wieder rehabilitiert worden, und mit Herbert von Karajan hatte im Sommer 1948 ein Dirigent die Salzburger Bühne betreten, der die Festspiele vierzig Jahre lang entscheidend prägen sollte. Und Karajan war, wie Krauss oder Böhm, bekanntlich überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus gewesen. 

Nichtsdestotrotz kam Brecht immer wieder nach Salzburg, wo er bei Gottfried von Einem am Mönchsberg 17 wohnte. Für Brecht war die Lage aber immer noch kompliziert, da er als Staatenloser nach wie vor nur über provisorische Dokumente verfügte. Während Brecht also am „Salzburger Totentanz“ arbeitete, beschäftigten sich die zuständigen Behörden in Wien und Salzburg mit der „Akte Brecht“ und kamen einhellig zum Schluss, dass „die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Bertolt Brecht ein Gewinn für das kulturelle Leben Österreichs“ wäre. Am 12. April 1950 war es schließlich soweit und Brecht und seine Frau, Helene Weigel, erhielten von der Salzburger Landesregierung die österreichische Staatsbürgerschaft.  

Als eineinhalb Jahre später diese Verleihung in der Blütezeit des Kalten Krieges publik wurde, wollte natürlich keine der damit befassten Stellen irgendetwas damit zu tun gehabt haben. Der Magistrat Salzburg berief sich auf „die künstlerische Würdigung Bert Brechts im Großen Brockhaus“, das Unterrichtsministerium redete sich auf „das unaufhörliche Drängen“ der Salzburger Landesregierung aus, und Bundeskanzler Figl begründete die Zustimmung des Ministerrats damit, dass keine Behörde „Bedenken irgendwelcher Art“ geäußert hätte. 

Brenzlig wurde die Sache allerdings für Josef Klaus, der seit 1. Dezember 1949 Salzburger Landeshauptmann war und als politisch Hauptverantwortlicher in dieser Angelegenheit ins Schussfeld der Kritik geriet. Dieser zog sich aus der Affäre, indem er Gottfried von Einem zum Alleinverantwortlichen machte, der wegen seines Einsatzes für Brecht bereits am 31. Oktober 1951 aus dem Direktorium der Festspiele entfernt worden war.  

Als Wiedergutmachung wurde Gottfried von Einem nach dem Tod Wilhelm Furtwänglers  1954 Präsident des Kunstrates der Festspiele. In dieser Funktion kam es zwischen von Einem und Josef Klaus ein Jahr später zu einer weiteren Auseinandersetzung, in deren Verlauf sich der Landeshauptmann vehement „gegen die Verjudung der Festspiele“ aussprach. Der Grund: Gottfried von Einem hatte das Juilliard-Quartett nach Salzburg eingeladen, woraufhin sich Josef Klaus darüber beklagte, dass die Einladung nur erfolgt sei, weil es sich bei den vier Herren um Juden handelte. Gottfried von Einem antwortete, dass es sich beim Juilliard-Quartett um eines der besten Quartette der Welt handle. Darauf Josef Klaus: „Trotzdem, die Verjudung der Festspiele, die gibt‘s bei mir nicht.“ Von 1964 bis 1970 war Josef Klaus dann Bundeskanzler der Republik Österreich und trat im Wahlkampf 1970 als „echter Österreicher“ gegen Bruno Kreisky an, der als Emigrant und Jude dieses Attribut wohl nicht verdiente.

Mit dem Rausschmiss von Einems aus dem Festspieldirektorium galt der „größte Kulturskandal der Zweiten Republik“ nach außen hin zwar als beendet, für das österreichische Theater sollte er aber noch fatale Auswirkungen haben, bildete er doch den Auftakt zu einem tatsächlichen Skandal, nämlich den Brecht-Boykott in Österreich. 

Zwischen 1950 und 1963 wagte es kaum ein österreichisches Theater, ein Stück von Brecht auf den Spielplan zu setzen. Und versuchte es eine Bühne trotzdem, wurden sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, diese Aufführung zu verhindern.

1961 bekannte Friedrich Torberg ganz offen: „Ich habe als Theaterkritiker, als Herausgeber einer kulturpolitischen Zeitschrift und auf jeder anderen mir zugänglichen Plattform nach besten Kräften darauf hingewirkt, daß Brecht in Wien nicht gespielt wird. Ich bin dafür mitverantwortlich, oder, wie einige von Ihnen es vielleicht lieber formuliert hören würden: Ich bin daran mitschuldig.“

Mit der von Torberg erwähnten kulturpolitischen Zeitschrift war das FORVM gemeint, das jahrelang von der CIA finanziell unterstützt wurde

Eine besonders üble Rolle im Zusammenhang mit dem Brecht-Boykott spielte der Journalist Günter Nenning, der Ende der fünfziger Jahre zu Friedrich Torbergs Zeitschrift gestoßen war und sich sofort in die Brecht-Diskussion einschaltete. 1958 schrieb Nenning: „Daß Brecht in Österreich nicht gespielt werden soll ist ein Standpunkt, der eingehende Diskussion verdient: Diskussion unter uns – das heißt unter den rabiaten Antikommunisten und rabiaten Demokraten. Die Teilnahme von Kommunisten ist unerwünscht. Die Kommunisten mögen schweigen. Sie haben von der Demokratie keinerlei Freiheiten zu fordern, nicht einmal die ihrer nackten politischen Existenz – welche ihnen die Demokratie aus Prinzip und Nützlichkeit dennoch gewährt.“

Nennings Position unterschied sich von der primitiven Anti-Brecht-Linie eines Friedrich Torberg oder Hans Weigel insofern, als er durchaus für die Aufführung von Brecht-Stücken war, allerdings nur, wenn es der Regie gelänge, „die antikommunistische Moral herauszuholen.“

Wenige Jahre später hielt sich Burgtheaterdirektor Ernst Haeusserman an dieses Konzept, indem er vor der Aufführung von Brechts „Galilei“ das Anti-Brecht-Stück „Die Plebejer proben den Aufstand“ von Günter Grass auf den Spielplan setzte. Nachdem sich das Publikum also davon überzeugen konnte, welches Schwein Brecht in Wirklichkeit war, durfte es sich an Curd Jürgens‘ garantiert kulinarischer Darstellung des Galilei erfreuen.

Damit endete der Brecht-Boykott in typisch österreichischer Manier mit einem faulen Kompromiss und es sollte noch Jahre dauern, ehe es hierzulande zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Stücken Bertolt Brechts kam.

„Der Standard“ (Album), 25./26. April 2020

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